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Für Unterwegs

Eisenbahnfahrten als Praktikumskomponenten
Prof. H. Klüter, Univ. Greifswald, Auszug

… Natürlich muss ein modernes geographisches Praktikum umweltbewusst organisiert sein. Allein deswegen sollte der Bahn so weit wie möglich der Vorzug gegeben werden. Daneben bietet die Eisenbahn eine besondere Mobilitäts- und Umwelterfahrung. Ziel eines Praktikums sind in der Regel Regionalvergleiche: Etwas Bekanntes wird mit Unbekanntem verglichen. Die Art der Erschließung des Unbekannten - wobei die Fortbewegung mit der Bahn selbst vielen unbekannt ist - wird hier zum Thema gemacht.

Windschutzscheiben- vs. Zugfensterblick: Bereits das visuelle Erlebnis des Unbekannten verläuft anders. Der Autofahrer ist durch Technik- und Sicherheitserfordernisse gezwungen, nach vorn zu blicken. Mit seinem autogestützten Blick sticht er in die unbekannte Umgebung hinein. Der Inhalt des Blickfeldes ist stark hierarchisiert: Der Verkehrsweg, die Schilder, der Gegen- und Überholungsverkehr stehen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Alles andere ist mehr oder weniger Ablenkung. Schon der Blick aus dem Seitenfenster kann lebenswichtige Sekunden kosten.
Beim Zugfahren wird die Umgebung wie ein Film vor dem Zugfenster vorbeigezogen. Der Verkehrsweg selbst ist bis auf das eventuell vorhandene Gegengleis oder die Menge der Oberleitungsmasten meist unsichtbar. Der Blick kann sich auf markante Gegenstände in der Umgebung konzentrieren: Berge, Flüsse, Siedlungen, Bauwerke, Felder und Wälder werden registriert ...
Jene Mobilitätskulisse hinter dem Zugfenster war bis zum Zweiten Weltkrieg, als die Nutzung großmaßstäbiger oder topographischer Karten noch weitgehend geheim und Flugreisen äußerst selten waren, die dominierende Erfahrung regionaler Varianz. Mit etwas Romantik und Geschichte im Hintergrund stützte sie die Raumabstraktion "Landschaft". Die sukzessive Varianz dieser Bilder während einer Bahnfahrt war lange Zeit die einzige Landschaftserfahrung, die man im Flachland hatte. Denn dort gab es keine Berge oder Erhebungen, die einen großräumigen Abwärts- oder Überblick gestatteten. Mesoräumlich visuell dominierte Landschaftsgeographie als Zugfenstergeographie und wurde erst relativiert,

  • als das Auto seinem Fahrer gestattete, interessante Punkte nicht nur visuell von ferne aufzunehmen, sondern direkt hinzusteuern und im wahrsten Sinne des Wortes zu "erfahren";
  • als öffentliche topographische Karten, Statistiken, Raumentwicklungsberichte und andere Dokumente es breiteren Kreisen erlaubten, sich über andere Abstraktionen regionalvergleichende Überblicke zu verschaffen,
  • als durch Massentourismus, Film, Fernsehen und Internet Kulissen- und Kulissenvarianz inflationierten.


Der Erkenntniswert einer heutigen Bahnreise geht allerdings über die Rekonstruktion landschaftsgeographischer Heuristik weit hinaus: Sie bietet gerade für Gruppen bestimmte planerische und organisatorische Vorteile:

  • Die Streckentrassierung gestattet besondere regionalgeographische Einblicke in bestimmte städtische und ländliche Milieus, die dem Autofahrer - oft auch dem Fußgänger - verborgen bleiben.
  • Die zeitliche und trassenbezogene Wiederholbarkeit von Reisen ermöglicht besondere didaktische Effekte …


Der billigste Modus der Schienenmobilität sind Wochenend-, Länder-, Quer-durchs-Land- und Verkehrsverbundstickets. Auf diese Art und Weise werden "langsame" Strecken attraktiv. Im Nahverkehr fahren die Züge so "langsam" (bis etwa 140 km/h), dass man aus dem Zugfenster die äußere Umgebung noch systematisch erschließen kann. Genau dies ist ein Grund, weshalb die Entscheidung für die Eisenbahnfahrt gerade zu Exkursions- und Praktikumszwecken leicht fällt.
Der Fahrplan gestattet außerdem eine relativ genaue Planung der Abfahrten und Ankünfte. Dies hilft, Stress zu vermeiden und garantiert ein klares Timing-Gerüst auch für nicht verkehrsgebundene Termine einer Exkursion. Dies wiederum eröffnet ganz andere Dimensionen der Planbarkeit. Es steht vorher fest, wann ein Zug fahren soll. Sofern keine Verspätung oder Streiks eintreten, ergibt sich für das Gesamtprojekt einer Exkursion eine Planungssicherheit, die sonst bei Gruppenreisen kaum erreichbar ist.
Zwischenhalte sind beim Zugfahren meist vorprogrammiert. Die Bahnfahrt erhält auf diese Weise einen gewissen logischen Rhythmus: Man hält in Bahnhöfen, die meist in Siedlungen, also an interessanten Orten liegen. Die Portionierung der Bahnreise in Etappen verbessert die subjektive Erinnerbarkeit, denn sie ist regelmäßig.
Die Portionierung der Autoreise ist aufgrund der Verkehrsdichte und anderer Faktoren von Fahrt zu Fahrt unterschiedlich, selbst wenn man dieselbe Route benutzt. Beim Autofahren sind Pausen in der Regel Zwangspausen, die im Stau, vor einer roten Ampel, an Raststätten oder am Toilettenhäuschen eingelegt werden müssen.

Vorbereitung einer Eisenbahnfahrt: … Die Wahl der Züge sollte so erfolgen, dass man möglichst Doppelstock-Züge besetzt. Von deren oberen Stockwerk hat man den besten Ausblick auf Strecke und Umgebung. Die Wagen laufen vorzugsweise als Regionalbahn oder Regionalexpress. Intercity- oder ICE-Wagen sind suboptimal, da der Zugfensterblick durch Bepflanzung, Böschungen und Lärmschutzwände häufig versperrt ist ...
Bedeutsam für die Fahrt ist die Wahl der Umsteigeorte und Pausen. Vor allem bei einer längeren Tour kann man die Strecken so wählen, dass interessante Bahnhöfe und Bauwerke berührt werden oder besichtigt werden können.Auf dieser Grundlage lassen sich Informationen über die Streckenführung zusammenstellen. Sie sollten folgende Themen umfassen …

  • Flussläufe und Wasserscheiden, Gebirge und Regionen,
  • wichtige Knotenpunkte und Städte ...
  • wichtige Bauwerke (Burgen, Schlösser, besondere Kirchen, Denkmäler, Industriebetriebe u. ä.) ...



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