Augen.Blick.Raum


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Geleitwort

Literarisches > in Bearbeitung

Mit dem vorliegenden Büchlein über "mobiles Landschaftserleben" legt der Geograph Holger Helm eine Zitatensammlung vor,
mit der er etwas zurückholt, was bei oberflächlicher Betrachtung dem Zeitgeist entfallen zu sein scheint: Das stille Vergnügen,
aus dem Zugfenster Landschaft zu betrachten.

Helm hebt nicht auf jene vordergründig modernen ICE-Strecken ab, auf denen jeder Blick aus dem Fenster aufgrund des schnellen, unaufhörlichen Wechsels von freier Sicht und visueller Blockierung durch unzählige Lärmschutzwälle und Tunnelbauten mit geradezu körperlichen Schmerzen verbunden ist, und die daher Paul Virilios Zeitanalyse vom "rasenden Stillstand" illustrieren können.
Er nimmt uns vielmehr mit auf Reisen in den immer noch zahlreichen Regional- und Fernzügen, die im Netz zwischen den
ICE-Magistralen verkehren, und sich auch heute noch dadurch auszeichnen, dass sie den Fahrgast trotz großer Geschwindigkeit
zum Blick in das landschaftliche Umfeld einladen.
Auch wenn bei Weitem nicht jeder Reisende nach landschaftlichen Wahrnehmungserfahrungen sucht, so gehört es doch zu den unbestreitbaren Vorzügen des Zugreisens auf diesen Strecken, dass sich jeder bequem und entspannt mit den vorbeiziehenden landschaftlichen Eindrücken auseinandersetzen kann. Und das ist heute schon ein besonderer Zeitvertreib, wie Helm mit vielen Zitaten verdeutlichen kann.
Einerseits suchen wir die Geschwindigkeit, wir haben es fast immer eilig anzukommen. Andererseits gestattet uns der schweifende Blick aus dem bewegten Zug, über die Wahrnehmung der Dinge und Vorgänge in der vorbeiziehenden Landschaft teilzuhaben am gesellschaftlichen Leben, und zwar ohne uns tätig und konkret darauf einlassen zu müssen.

Immer wieder werden wir in den Zitaten auf diesen spezifischen Blick aus dem Zugfenster verwiesen, den meist Sinnenlust und Kontemplation zugleich auszeichnen, und der damit Spielräume öffnet für die Anreicherung der angesammelten Eindrücke und Erfahrungen mit neuen Gedanken.
Auch wenn ein mehr oder weniger sanft-rhythmisches Räderrollen den Blick auf die Landschaft stetig begleitet: In den wachen Momenten des Schauens geht es nicht um passives Geschehen-Lassen, vielmehr um Sinnlichkeit und mentale Vertiefung, um eine erste Stufe tagträumerischen Sehens.

Wenn Holger Helm in seinem Büchlein das ungewöhnliche Vorgehen der pointillistischen Verschränkung von Zitaten wählt, um solchen Sachverhalten eine zutreffende Form zu verleihen, dann verdeutlicht er damit, wie Wahr-nehmung und Vorstellung gerade auch beim entspannten Blick aus dem Zugfenster zu vagabundieren vermögen, manchmal aber auch den Einstieg
in ein phantasievolles Sehen erleichtern können.
Ihm auf diesem Weg zu folgen, ist ein ungewöhnliches, gewinnbringendes Lesevergnügen.


Prof. Werner Nohl


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