Augen.Blick.Raum


Direkt zum Seiteninhalt

März/April

Fund des Monats > 2022

360° Film «Rund um Rad und Schiene» für die Expo 64 im schweizerischen Lausanne
Circarama war das erste System für 360° Film, der auf eine zylindrische Leinwand in einem kreisrunden Raum projiziert wird. Bereits 1958 setzte sein Erfinder Walt Disney das Verfahren in der Weltausstellung in Brüssel ein. Der Filmer Ernst Heiniger erkannte das grosse Potential und nutzte die Circarama-Technologie für seinen 360° Film «Rund um Rad und Schiene», der 1964 auf der Expo gezeigt wurde.
Die Expo 64, die vom 30. April bis zum 25. Oktober 1964 in Lausanne stattfand, war zugleich Schweizerische Landesausstellung.
https://www.concept360.ch/de/srf-echorama-ernst-a-heiniger/

Neun kreisförmig angeordnete Filmkameras hielten die schönsten Zugstrecken der Schweiz fest und fazsinierten die Besucher mit einer noch nie gesehenen Panorama-Projektion. (Bilder: SBB Hiostoric)



Die Vorführung erfolgte in einem runden Pavillon, wobei das Bild rundherum als zusammenhängendes Panorama erschien und die Zuschauer vom Filmgeschehen gänzlich umkreist waren. In Lausanne wurde der 20 Min. dauernde Film mehr als 2 Mio. Besuchern gezeigt. Er war damit eine der EXPO-Hauptattraktionen . Der Vorführ-Pavillon faßte 1500 Zuschauer. Der Regisseur Ernst Albrecht Heiniger, hatte 1952 Walt Disney in Amerika kennengelernt. Vor dem Film für die SBB hatte Heiniger bereits mehrere Filme für Disney gedreht, zwei davon wurden 1957 und 1958 sogar mit einem Oscar ausgezeichnet.

https://memoriav.ch/de/projects/rund-um-rad-und-schiene/




Situationsaufnahme zur Circarama-Projektion (Bild: SBB Historic)
https://www.fotointern.ch/archiv/2014/09/11/filmraritaeten-der-expo-64-auf-dem-bundesplatz-in-bern-zu-sehen/


T h o ma s S c h ä r e r: "Das Circarama-Abenteuer der Schweizerischen Bundesbahnen",
In: m e m o r i A v b u l l e t i n N r. 2 1 (9/2014), S.16-17
Das 360-Grad-Panoramakino der SBB im Verkehrssektor der Ausstellung war eine der grossen Attraktionen der Expo 64. Bis zu 25000 Zuschauer kamen während der Ausstellung täglich in dieses filmtechnische Wunderding und liessen sich durch die 360-Grad-Projektion von Rund um Rad und Schiene verzaubern. Nach der Landesausstellung und einem Gastspiel in München war es aber still um den Film. Auf die angekündigte Wiederaufführung freuen sich viele. «Es war fantastisch, das Schweben über den Alpen mit der Musik (...). das war so ein Erlebnis, das riesige Rund, das ertrugen nicht alle (...). meistens am Wochenende, wenn viele kamen (...), stand immer jemand von uns [hostessen] drinnen. Wir haben mehr gesehen, weil wir an die Dunkelheit gewöhnt waren. dann sahen wir [überwältigte] Leute im Dunkeln taumeln, manchmal konnte ich sie gerade auffangen.» Wie die damalige SBB-Hostesse Lilian Müller (-Schärer) schwärmen manche heute noch vom Circarama, einer der Hauptattraktionen an der EXPO 64.
Die Ideevertreter der Generaldirektion der SBB und der Schweizerischen Tourismuszentrale sahen 1961 in Turin einen von Fiat präsentierten Disney-Circarama-Film. Beeindruckt vom Gesehenen wünschten sie sich, Ähnliches für die bevorstehende EXPO in Lausanne zu realisieren. Über den Thurgauer Fotografen und Filmemacher Ernst A. Heiniger (1909–1993), der in den 50er-Jahren für die Disney Company in den USA Filme gedreht hatte, nahm die EXPO-Direktion im August 1961 Kontakt mit Walt Disney auf. Dieser willigte ein unter der Bedingung, dass die SBB-Produktion die einzige Circarama-Vorführung auf der EXPO sei.
Der Auftrag
Drehte die Firma Disney sowohl für die Brüsseler Weltausstellung 1958 wie auch für Turin ihre Circarama-Filme selbst, so übertrug sie im März 1962 Heiniger die Gesamtverantwortung für den SBB-Film. Er schrieb nicht nur am Drehbuch mit, sondern führte auch Regie, Kamera und übernahm die Produktion. Die Bundesbahnen und die Assoziierten Privatbahnen sowie Rollmaterialindustrien ließen Heiniger weitgehend freie Hand. In Absprache mit der EXPO-Leitung sollte er die Leistungen und Fortschritte der Schweizer Bahnen unter den Gesichtspunkten Reisekomfort, Geschwindigkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit ins beste Licht rücken. In enger Abstimmung mit dem Genfer Bernard Schulé (1909–1996), der eine viersätzige «symphonische Dichtung» für den Film komponiert hatte, entwickelte Heiniger ein Drehbuch, das aus 64 Sequenzen bestand und durch die vier Jahreszeiten und die vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft strukturiert war. Das Circaramaverfahren war zwar bereits erprobt, für Rund um Rad und Schiene entwickelte Disney jedoch eine verbesserte Version der Kameraeinheit. Anstelle von bislang elf 16-mm-Kameras drehte Heiniger mit neun synchronisierten 35-mm-Kameras, was die Bildqualität entscheidend verbesserte und eine Projektionsfläche von eindrücklichen 630 qm erlaubte. Ausserdem verkleinerte die vertikale Anordnung der Kameras, die ihre Bilder über einen Kranz von Spiegeln gewannen, den toten Winkel im Zentrum. Für die Kameramiete und für den Gebrauch des patentierten Verfahrens entrichtetendie SBB erhebliche Miet- und Lizenzgebühren. Als technischer Berater von Disney begleitete Ub Iwerks (1901–1971) die fast einjährigen Dreharbeiten. Daneben engagierte Heiniger fünf weitere Mitarbeiter.
Formale Herausforderungen
Die Freiheit des Publikums, im Zentrum des Kinos zu stehen und Blicke frei auf alle Seiten streifen zu lassen, stellt formale Herausforderungen: Wie sind die visuellen Informationen zu dosieren? Wie sind Inhalte oder Geschichten zu vermitteln, wie ist ein roter Faden zu entwickeln, wenn ein zentrales formales Mittel – die Lenkung der Aufmerksamkeit – weitgehend entfällt? Heinigers Lösung bestand einerseits darin, die Kamera in ständiger Bewegung zu halten. Drch die horizontale Bewegungsrichtung ergab sich eine «Führungsleinwand», welche die bevorzugte Sehrichtung vorgab. Andererseits liess er die fixierte Kamera umkreisen, etwa von 1200 Schulkindern auf dem gefrorenen Zürichsee oder von Zügen auf dem Kreisviadukt von Brusio im Puschlav. Die SBB und ihre Partner betrieben einen generalstabsmässigen Aufwand. Sie modifizierten eine selbstfahrende Draisine und organisierten unzählige Extrazüge. Auch Helikopter, Autos und Seilbahnen bewegten die 300kg schwere Kameraeinheit. Die Waggonfabrik Schindler stellte während eines Monats eine ganze Montagehalle um.
Die Vorführung
Der Circarama-Film Rund um Rad und Schiene war mit rund vier Millionen Besuchern eine der am meisten frequentierten Attraktionen der EXPO. Die 20 Minuten dauernde Vorführung fand in der Regel jede halbe Stunde statt, gegen Ende der Ausstellung im Herbst 1964 wegen des Publikumsandrangs praktisch nonstop. 1000 bis 1500, in Einzelfällen gar bis 2000 Personen fasste der Rundbau, täglich kamen so bis zu 25000 Zuschauer. Pensionierte Lokomotivführer wirkten als Operateure der neun synchronisierten 35-mm-Zeiss-Projektoren. Schulés Musik erklang in Stereoqualität über sechs hinter der Leinwand angebrachte lautsprecher. Mit einem Durchmesser von 26,5 m und der gut 83m langen und 7m hohen neunteiligen Leinwand – die Filme wurden jeweils zwischen den Leinwänden hindurch quer durch den Zuschauerraum auf die gegenüberliegende Seite projiziert – war die Installation mehr als doppelt so gross wie das Circarama im Disneyland. "
https://memoriav.ch/wp-content/uploads/2014/09/Bulletin-21_Web.pdf

Hinweis:
Digitalisierung des analogen 35-mm-Filmmaterials (10 Rollen à ca. 600m, Sepmag 35mm Stereo). Restaurierung und Aufbereitung der digitalen Kopie. Technische Vorbereitung und Aufbau der Projektionen.
Eine digitale Restaurierung wurde 2014, abgeschlossen
Zuständige Institutionen: SBB Historic – Stiftung Historisches Erbe der SBB, Windisch
Ausstellungen: 1.8.-31.12.2014: Wiederaufführung Rund um Rad und Schiene im Rahmen der Sonderausstellung «Landi 39/Expo 64», Verkehrshaus der Schweiz, Luzern
Veranstaltungen: 12./13. September 2014: «50 Jahre Expo 64»


Zurück zum Seiteninhalt | Zurück zum Hauptmenü